(Spoiler: eigentlich ist alles ganz anders)
Du kommst vom Einkaufen zurück. Im Supermarkt wars voll, du hast deine Lieblingskekse nicht gefunden und obendrein ist das Auto erst beim vierten Versuch angesprungen. Endlich bist du vor der Wohnungstüre, der Stress wird abfallen, sobald du drinnen bist. Denkst du.
Was dich erwartet: Plastikfetzen auf dem Boden. Überall zerrissene Verpackungen. Der in den Teppich geriebene Rest des Joghurts, den du vorhin mitsamt Becher in den Mülleimer geworfen hattets. Und mittendrin: ein schuldbewusst schauender Hund. Du siehst in seinem Blick, dass er weiß, was er gemacht hat. Dass er weiß, dass das nicht in Ordnung war. Du bist jetzt fertig mit deiner Selbstbeherrschung, irgendwann ist Schluss. Außerdem muss er doch lernen, dass man sich so nicht verhält! Aber kann er das auch? Auf diese Art?
Vielleicht fragst du dich, warum dieses Szenario immer wieder auf dich wartet, obwohl der Hund doch augenscheinlich weiß, wie sehr dich das stört. Die vermeintlichen Schuldgefühle sind ihm ins Gesicht geschrieben. Dass er das weiß und es trotzdem immer wieder tut, ärgert dich vielleicht mehr als das Aufräumen der ganzen Sauerei. Es ist ja auch wirklich frech!
Millionen Hundehalter_innen geht es wie dir, die meisten werden kopfnickend zustimmen und ihre Anekdoten über ganz ähnliche Erfahrungen mit dir teilen. Dass dieses Phänomen so weit verbreitet ist, führt dazu, dass sich auch wissenschaftlich damit auseinandergesetzt wird (siehe weiter unten). Zuerst wollen wir 'Schuldbewusstsein' etwas zerpflücken und die kognitiven Leistungen betrachten, die es braucht, um sich der eigenen Schuld bewusst zu sein.
Schuld - was ist das eigentlich? „Nach kognitionstheoretischem Ansatz entstehen Schuldgefühle, wenn der Betroffene sein Verhalten als falsch bewertet und sich dafür [als Mensch] verurteilt“ (1). Es braucht eine Vorstellung vom 'Richtig', um ein 'Falsch' erkennen zu können.
Das Gefühl für Richtig und Falsch nennen wir Moral. Die Wissenschaft geht aktuell nicht davon aus, dass Hunde in der Lage sind, das eigene Handeln moralisch zu bewerten - vor allem, wenn die 'Tat' einige Zeit zurückliegt. Das Phänomen vom schuldbewussten Blick lässt sich tatsächlich sehr viel einfacher erklären.
Alexandra Horowitz ist dem schuldbewussten Blick in ihrem Experiment Disambiguating the 'guilty look' von 2009 auf den Grund gegangen. Der Aufbau: in einem Raum wird hochwertiges Futter platziert. Die Hundehalter_innen werden gebeten, den Raum ohne ihren Hund zu verlassen, nachdem sie dem Hund bedeutet haben, das Futter nicht zu essen. Die Halter_innen konnten von außen nicht sehen, wie die Hunde handelten. Horowitz erzählte im Anschluss manchen Halter_innen, ihr Hund hätte das Futter verbotenerweise gefressen. Anderen erzählte sie, der Hund hätte die Anweisung brav befolgt und das Futter nicht angerührt. Das tat sie zufällig und nicht in Verbindung mit dem tatsächlichen Verhalten der Hunde.
Der bei der Rückkehr mancher Halter_innen gezeigte 'schuldbewusste Blick' hatte nichts damit zu tun, ob das Futter gefressen wurde oder nicht. Die Halter_innen, die dachten, ihre Hunde hätten das Futter verbotenerweise gefressen, waren mit 'schuldbewussten Blicken' konfrontiert - obwohl die Hunde das Futter tatsächlich nicht angerührt hatten, sich also keiner Schuld bewusst sein konnten. Umgekehrt war der 'guilty look' bei Hunden jener Halter_innen, die fälschlicherweise dachten, ihre Hunde hätten nicht gefressen, kaum zu beobachten.
Der schuldbewusste Blick ist folglich eine Reaktion auf das Verhalten der Halter_innen. Er beinhaltet beschwichtigende displays, wie sie gezeigt werden, wenn ein verärgertes Gegenüber besänftigt werden soll. Die weitverbreitete Interpretation 'schuldbewusst' hat mehr mit uns selbst zu tun als mit unseren Hunden - Stichwort Anthropomorphismus.
Wenn dein Hund Gegenstände zerstört, wenn er alleine ist, deutet das oft auf Trennungsstress hin. Melde dich gerne für ein kostenloses Erstgespräch. Ich zeige dir, wie wir das Problem lösen können.
Quellen: